„Verantwortung auf dem Online-Marktplatz: Warum Amazon bei Designrechtsverletzungen nicht einfach die Hände in Unschuld waschen kann“
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Im stetig wachsenden Dschungel des E-Commerce stoßen Rechteinhaber immer wieder auf das Problem, dass ihr geistiges Eigentum verletzt wird. Da es oft eine echte Herausforderung ist, die eigentlichen Übeltäter zu ermitteln, richtet sich der Blick zunehmend auf die großen Online-Plattformen wie Amazon, um gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen.
Das Landgericht Düsseldorf hat mit seinem Urteil (14c O 67/23) die Haftungsdebatte für Online-Marktplätze in Deutschland weiter verschärft. In einem Fall, in dem Dritte auf Amazon Designrecht verletzende Lampen verkauften, wurde Amazon als Täter zur Verantwortung gezogen. Das Gericht stützte sich dabei auf die EuGH-Standards aus den von Christian Louboutin gegen Amazon angestrengten Markenrechtsverletzungsverfahren (C-148/21 und C-184/21).
Unterscheidung zwischen eigenen und fremden Inhalten – Täter und Störerhaftung
Generell ist bei der Haftungsfrage von Internetplattformen die Unterscheidung zwischen Content- und Hostprovidern entscheidend. Contentprovider, die eigene Inhalte anbieten, haften als Täter vollumfänglich, auch auf Unterlassung, Schadensersatz und Auskunft. Hostprovider, die fremde Inhalte bereitstellen, genießen nach §§ 7 bis 10 TMG gewisse Privilegien und haften nur in ihrer Rolle als Störer. Ein Störer trägt zur Rechtsverletzung bei, ohne Täter oder Teilnehmer zu sein, und haftet laut BGH (Urteil vom 22.07.2010, Az. I ZR 139/08) außerdem nur dann, wenn es ihm rechtlich und tatsächlich möglich und zumutbar ist, die mittelbare Rechtsverletzung zu verhindern und er zumutbare Prüfpflichten verletzt hat.
Amazon als „hybrider“ Online-Marktplatz
Amazon unterhält einen Online-Handel, auf dem es sowohl Produkte und Waren in eigenem Namen als auch als einen virtuellen Marktplatz für Drittanbieter verkauft. Im Unterschied zu anderen Plattformbetreibern wie eBay, die sich lediglich auf das Zurverfügungstellen eines Marktplatzes beschränken und keine eigenen Verkaufsaktivitäten aufweisen, kombiniert Amazon diese Dienstleistung mit direktem Warenvertrieb. Damit verfolgt es ein „Hybridmodell“ zu den oben genannten Providern. Eine weitere Besonderheit ist, dass der Versand von den auf dem Online-Marktplatz vertriebenen Produkten entweder von den Händlern oder von Amazon übernommen werden kann. In dem letzteren Fall lagert Amazon die Ware in eigenen Vertriebslagern und versendet sie an die Käufer was unter der Bezeichnung „fulfillment by amazon“ (fba) läuft. Diese Doppelrolle bringt eine besondere Haftungssituation mit sich.
Kontext der Entscheidung vor dem EuGH
Im Fokus der Entscheidung standen die ikonischen Louboutin-Schuhe mit ihren roten Sohlen (Pantone-Farbe 18-1663TP). Die roten Sohlen der Schuhe sind nicht nur ein Markenzeichen, sondern auch ein eingetragenes Design, identifiziert durch die Pantone-Farbe 18-1663TP. Diese Farbe hat im Luxus-Schuhmarkt und in der Modewelt allgemein einen ikonischen Status erreicht. Sie dient nicht nur als ästhetisches Element, sondern hat eine erhebliche Markenerkennung und einen hohen kommerziellen Wert.
Die Klage stützte sich auf Artikel 9 Absatz 2 a) der Unionsmarkenverordnung. Louboutin argumentierte, Amazon habe durch das Hosting dieser Anzeigen von Drittanbietern, ohne seine Zustimmung ein mit der in Rede stehenden Marke identisches Zeichen für Waren „benutzt“, die mit denjenigen identisch seien, für die diese Marke eingetragen sei. Dies sei vor allem durch das Schalten von Werbeanzeigen auf Amazons Online-Verkaufsplattform erfolgt, erstreckte sich aber auch auf Besitz, Versand und Auslieferung derart gekennzeichneter Waren. Damit sei Amazon direkt haftbar.
Diese Fälle brachten grundlegende Fragen zur „Benutzung“ einer Marke im Kontext von Online-Marktplätzen hervor. Dem EuGH sind entsprechend in den Verfahren mehrere Fragen vorgelegt worden. Im spezifischen Kontext dieser Fälle ging es um die Klärung folgender (vereinfacht dargestellter) Vorlagefragen:
- Ob die Anzeige von Inseraten für Verkäufer, die Drittmarken ohne Autorisierung verwenden, als "Benutzung" einer Marke durch den Marktplatzbetreiber angesehen werden kann.
- Ob die Lagerung und Lieferung der markenrechtsverletzenden Waren der Verkäufer an Kunden ebenfalls als "Benutzung" einer Marke durch den Marktplatzbetreiber angesehen werden kann.
Die Entscheidung des EuGH: Einheitliche Darstellung entscheidend
Die Antwort des EuGH im Dezember 2022: ein Marktplatzbetreiber „benutzt“ ein rechtsverletzendes Zeichen selbst und kann entsprechend direkt haftbar gemacht werden, wenn ein ein normal informierter und angemessen aufmerksamer Verbraucher den Eindruck gewinnt, dass eine Verbindung zwischen der betroffenen Marke und den Dienstleistungen des Marktplatzes besteht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Internetnutzer den Eindruck haben könnte, dass Amazon derjenige ist, der die mit der Marke versehenen Waren im eigenen Namen und für eigene Rechnung selbst vertreibt. Insoweit ist relevant, dass Amazon die auf der eigenen Plattform veröffentlichten Angebote einheitlich präsentiert, indem die Anzeigen für eigene Angebote zusammen mit den Anzeigen für Angebote anderer Händler auf dem eigenen Marktplatz eingeblendet werden, bei all diesen Anzeigen das Logo von Amazon als renommierter Vertreiber erscheint und dass Amazon den Händlern im Rahmen des Vertriebs der mit der Marke versehenen Waren zusätzliche Dienstleistungen anbietet, die u. a. darin bestehen, diese Waren zu lagern und zu versenden. Zusammengefasst war der EuGH der Auffassung, Amazon binde markenrechtsverletzende Zeichen im Rahmen von Drittangeboten in die eigene kommerzielle Kommunikation ein und „benutze“ diese selber, weil für den Verbraucher auf der Webseite von Amazon nicht unterscheidbar sei, welche Angebote von dem Unternehmen stammen und welche von Dritten angeboten werden. Es ist jedoch zu beachten, dass der EuGH in einem Verfahren zur Vorabentscheidung lediglich eine abstrakte Rechtsfrage geklärt hat und dabei ausschließlich eine verbindliche Auslegung des Unionsrechts vornimmt. Die spezifische Anwendung des Unionsrechts auf einen individuellen Fall ist weiterhin Aufgabe der nationalen Gerichte. Diese Standards schafften jedoch die Voraussetzungen für die kürzlich erfolgte Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf.
Neue Linie des EuGH?
Dies war nicht das erste Mal, dass der EuGH feststellte, ob Online-Marktplätze direkt für Markenverletzungen von Drittanbietern haftbar gemacht werden können, die ihre Marktplätze nutzen. In dem Fall Coty Germany GmbH vs. Amazon (C-567/18) setzte sich der EuGH bereits mit dieser Frage auseinander. Coty, ein Parfümvertrieb, der eine Lizenz für das EU-Markenzeichen DAVIDOFF besitzt, hat ‚Davidoff Hot Water‘-Parfums bei einem Drittanbieter auf dem Marktplatz von Amazon gefunden, die nicht vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung auf dem EU-Markt platziert wurden. In diesem Verfahren entschied der EuGH im April 2020 jedoch noch, dass Amazon nicht als Täter für die Verletzung der Marke Davidoff von Coty haftbar gemacht werden könne, die im Zusammenhang mit dem unbefugten Verkauf und Versand von Parfüms durch einen Drittanbieter über den Amazon-Marktplatz verwendet wurde.
Das Gericht schloss sich Amazon in einer Entscheidung an, die sich weitgehend darauf konzentrierte, dass die verletzenden Parfümprodukte direkt vom Verkäufer und nicht von Amazon verschickt wurden.
Fazit
Die Entscheidung des Düsseldorfer Landgerichts ist die erste, die die Standards des EuGH im Louboutin-Fall über das Markenrecht hinaus auf das Designrecht anwendet. Diese Entwicklung signalisiert eine Bereitschaft der Gerichte, die Grundsätze des EuGH weitreichend zu nutzen, was nach dem enttäuschenden Ausgang des Coty-Amazon-Verfahrens für Rechteinhaber eine positive Wendung darstellt.
Trotz der geurteilten Täterhaftung von Amazon bleiben die Online-Verkäufer zwar weiterhin für ihre eigenen Angebote von rechtsverletzenden Produkten haftbar, doch das Urteil stärkt die Position der Rechteinhaber gegenüber Marktplatzbetreibern. Es macht deutlich, dass Plattformbetreiber wie Amazon nun stärker in der Pflicht stehen, Schutzrechte zu achten und rechtswidrige Angebote zu unterbinden.
Für Rechteinhaber bietet dieses Urteil eine effektivere Möglichkeit, gegen große Online-Plattformen vorzugehen, anstatt schwer fassbare einzelne Rechtsverletzer zu verfolgen. Es ist ein wichtiger Schritt in Richtung größerer Verantwortlichkeit von Plattformen, insbesondere solcher, die nach einem Hybridmodell operieren und sowohl eigene Produkte verkaufen als auch Drittanbietern den Verkauf über ihre Webseite ermöglichen wie es beispielsweise auch bei Saturn, Otto, und Zalando der Fall ist.
Für diese Online-Markplätze empfiehlt es sich nun mehr denn je, das Design ihrer Webseite klar zu gestalten, sodass Verbraucher eindeutig erkennen können, welche Produkte direkt vom Plattformbetreiber und welche von Drittanbietern stammen. Dies hilft nicht nur bei der Einhaltung rechtlicher Standards, sondern fördert auch das Vertrauen und die Transparenz gegenüber ihrer Kunden.
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